Abschleppdienst mit zwei Höckern
Reisen ist abenteuerlich – vor allem in exotischen Gefilden. Oft funktionieren die Dinge in fremden Ländern erfrischend anders als zu Hause. Eine kuriose Resegeschichte aus der 50 jährigen Reisegeschichte von unserem Buspartner Zerzuben Touristik.
«Ja, seid ihr total übergeschnappt? Durch Tunesien mit dem Car?» Andreas, ein altgedienter Chauffeur von Zerzuben Touristik, hatte von der geplanten Tour aus der Zeitung erfahren. Die Reise war für die damalige Zeit und für Walliser Verhältnisse eine mittelprächtige Sensation. Von Visp aus ging es über Frankreich mit der Fähre auf den «schwarzen Kontinent» und von dort mit dem Car mitten hinein in die tunesische Hauptstadt, die schon damals ein Inbegriff orientalischer Lebensart war. Vor allem die Medina von Tunis, mit ihren Souks genannten Marktgassen und der imposanten Ez-Zitouna-Moschee, hatte es den «Expeditionsfahrern» schnell angetan. Nur der gute Andreas wollte dem Frieden nicht trauen: Jeden Abend, während die Gäste dinierten, hockte er mit den arabischen Fremdenführern zusammen, um den Verlauf der Tagesausflüge «en détail» zu besprechen. An einem Abend war die Rede vom grössten Salzsee der Erde, einem Sumpf von fast fünftausend Quadratkilometern, der den dicht besiedelten Norden des Landes von seinem fast menschenleeren Süden trennt. Uns interessierte die umliegende Wüste.Von da aus war der Salzsee wie eine schillernde Fata Morgana zu sehen.
Also fuhren wir los. Die asphaltierte Strasse zwischen Tunis und Gafsa war längst verschwunden, der Car fuhr schon eine gute Stunde über holprige Pisten. Den Gästen schien die Schaukelei die perfekte Ergänzung zum Wüstenpanorama zu sein: «Das ist ja richtig nostalgisch, als wäre man mit dem Dromedar unterwegs. » Andreas murmelte nur: «Ein Geländewagen mit ordentlich was unter der Haube wäre mir um einiges lieber.» Als hätte der Bus auf dieses Stichwort gewartet, beruhigte sich die Fahrt augenblicklich – es war nun eher wie ein sanftes Gleiten und Rutschen, begleitet von einem Geräusch wie man es vom Snowboarden her kennt. Salah, der ortskundige Führer, sprang von seinem Sitz auf und begann zu gestikulieren, an den Panoramafenstern spritzten plötzlich meterhohe Sandfontänen vorbei. Der Motor heulte auf, obwohl sich der Car nicht mehr von der Stelle bewegte – dann erstarb das Geräusch. Der Fahrer – kreidebleich – stieg als Erster aus. «Heilige Madonna!» Die Hinterachse des Cars steckte bis zur Höhe der Radkästen im Sand. Nur, wo war die Strasse? Das fragte sich auch der einheimische Führer. Andi blies ihm den Marsch. «Sieh zu, dass du Hilfe holst und jetzt – allez, ouste!»
Der Tunesier stapfte im festen Sand der Reifenspuren davon. Die Gäste versuchten mit vereinten Kräften, den Bus zu befreien. Es wurde heiss, glühend heiss, die Hitze flirrte über den Wadis und inzwischen waren fast drei Stunden vergangen. Der Ortskundige liess noch immer auf sich warten und die vereinten Anschiebeversuche hatten nicht das Geringste gebracht. Manchem Gast stand sein mulmiges Gefühl buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Die Bus-Stewardess hatte bereits jede Menge Flüssiges unter die Gäste gebracht, als einer der Herren, ein Jäger aus Gamsen, sich kerzengerade erhob: «Ja, habe ich schon einen in der Krone oder sind das da drüben Kamele?» Kein Zweifel, kaum hundert Meter von unserem Bus entfernt, zog gemächlich eine Karawane vorbei.
Nie wieder hat man Andreas so flitzen gesehen wie in diesem Moment. Er hatte sein Hemd ausgezogen und schwenkte es wie ein Schiffbrüchiger, um auf sich aufmerksam zu machen. Zehn Minuten später kam er mit ein paar Tuareg – alle hoch zu Kamel – zu unserem manövrierunfähigen Fahrzeug zurück. «Bitte Platz machen!», verkündete Andreas.
Die Beduinen hatten schon mit der Untersuchung der Stossstange begonnen. Offenbar kannten sie das Problem, denn die lässige Art, wie sie die Abschleppgurte anbrachten, wirkte extrem routiniert. Zwei Kamele setzten sich in Bewegung, während unser Fahrer mit Bleifuss aufs Gaspedal trat. Lange schienen die Reifen nur durchzudrehen, doch dann – unter Johlen der Gäste – machte der Bus einen kleinen Satz vorwärts. Zwanzig, dreissig Meter zogen die Tiere den Bus durch das Sandbett hindurch, dann tauchte die Piste wieder auf, es war geschafft!
«Dafür haben sich die Burschen was kühles Blondes verdient», witzelte Andreas und holte ein paar «Bière Valaisanne» aus seiner persönlichen Vorratskiste. Die Beduinen lehnten höflich ab: Als Muslime war ihnen das Trinken von Alkohol strengstens verboten. Doch das galt natürlich nicht für die eigentlichen Helden des Tages, die beiden Kamele. Kurzerhand wurden etwa zehn Flaschen in einen Eimer gefüllt. Das Walliser Bier schien den Tieren bestens zu munden, denn sie schlabberten laut vor sich hin und leckten sich immer wieder genüsslich den Schaum von den Lippen. Als die Tuareg zu ihrer Karawane aufbrachen, hatte man den Eindruck, die Tiere schwankten ein wenig.
Das Original dieses Artikels mit dem Titel «Sandpferde haben auch Durst» stammt aus dem Buch «Die kuriosesten Reise-Geschichten aus 50 Jahren Zerzuben Touristik » von Kurt Zerzuben mit Thor Kunkel. Der vorliegende Text ist gekürzt.