Yann Sommer war der Beste – auch dank seiner Persönlichkeit
Im vergangenen August gab Yann Sommer seinen Rücktritt. Der Schweizer Fussball verlor damit nicht bloss den erfolgreichsten und besten Nationaltorhüter der Neuzeit, sondern auch eine grosse Persönlichkeit. Bei Inter Mailand wird Sommer derzeit gefeiert als einer der Top-Transfers der letzten zehn Jahre.
von Karl Wild
Köbi Kuhn, Karli Odermatt, Fritz Künzli – es sind Namen, die Fussballinteressierten bis heute geläufig sind. Dass sie an Welt-und Europameisterschaften nie für Schlagzeilen sorgen konnten, lag daran, dass Fussball in der Schweiz damals bloss nebenberuflich betrieben wurde, während die Spieler der grossen Nationen längst Vollprofis waren. Der erste Torhüter, an den ältere Semester sich erinnern, war wohl Charly Elsener, der mit den Grasshoppers Meister wurde und auch bei La Chaux-de- Fonds und Lausanne-Sports spielte.
Im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden, den Finalisten von 1958, erlitt Elsener im November 1961 im Berner Wankdorfstadion vor fast 60 000 Zuschauern einen Nasenbeinbruch und eine Hirnerschütterung, spielte weiter und wurde beim 3:2- Sieg zum gefeierten Helden. Das fällige Entscheidungsspiel in Berlin gewannen die Schweizer dann 2:1. Und wieder war ein katzengleicher Elsener vor 50 000 Fans der grosse Rückhalt der Nati. Die beiden Siege gegen den haushohen Favoriten Schweden und die Qualifikation für die WM 1962 in Chile lösten im Land eine Fussballbegeisterung von ganz neuen Dimensionen aus.
An herausragenden Torhütern mangelte es dem Schweizer Fussball auch nach Charly Elsener nicht. Selbst in den eher düsteren 70er- und 80er-Jahren, als man sich für keine Endrunde qualifizieren konnte, wurde nie an den Goalies herumgenörgelt. Erich Burgener, Karl Engel, Marco Pascolo, Jörg Stiel, Pascal Zuberbühler oder Diego Benaglio erhielten fast immer die besten Noten. Stiel und Benaglio waren einst auch in der Bundesliga grosse Nummern. Doch einer überragt im Rückblick alle: Yann Sommer. Kult-Trainer Gilbert Gress, aufgrund seiner kunstvoll zurechtgelegten Frisur auch liebevoll «Scheitel der Nation» genannt, brachte es in «Le Matin Dimanche » einst trefflich auf den Punkt: «Sommer war der beste Schweizer Nationaltorhüter der Neuzeit. Auch und gerade wegen seiner natürlichen Führungsqualitäten.» In der Garderobe hatte Sommers Wort Gewicht. Seine Siegermentalität, sein Professionalität übertrug sich auf die Mitspieler. «Ich gehe immer all-in», sagt er selbst. Er war und ist noch immer einer, auf den die Bezeichnungen Leader oder Führungspersönlichkeit uneingeschränkt zutreffen.
«Sommer war der beste Schweizer Goalie der Neuzeit.»

Die Erleichterung nach einem Sieg.
Es sind mancherlei Eigenschaften, die den 36-Jährigen auszeichnen. Vor allem war jeder Schritt in seiner grossen Karriere gut überlegt, nichts geschah überstürzt. Der Mann, der von der U16 bis ins A-Team zwanzig Jahre lang in Nationalmannschaften gespielt hatte, plante alles von Beginn weg mit grösster Sorgfalt. Einzig nach seinem Wechsel von Borussia Mönchengladbach, wo er Kultstatus genoss, zu den Münchner Bayern stand er plötzlich vor einer komplett neuen Situation. Er sah sich Mächten und Kräften gegenüber, die nicht zu bändigen waren. Beim FC Hollywood, wie die Bayern nach ihren vielen Eskapaden der Vergangenheit noch immer genannt werden, geisterte ständig und überall der Name Manuel Neuer herum.
Der deutsche Nationaltorhüter hatte sich nach dem WM-Debakel in Katar auf einer Frustwanderung eine Fraktur des rechten Unterschenkels zugezogen und fiel für den Rest der Saison aus. Sommer sollte den Bayern die Meisterschaft retten. Das tat er denn auch. Doch die Medien wollten bei fast jedem Gegentor einen Fehler Sommers entdeckt haben. Erstmals hörte er in München auch den Unsinn, er sei für einen ganz grossen Torhüter ein paar Zentimeter zu kurz geraten. Sommer, das attestierten ihm selbst die lokalen Medien, reagierte immer und auf alles souverän. Auch dann, als der verletzte Übermensch Neuer bei der Meisterfeier weit mehr im Mittelpunkt stand als der spielende Sommer. Die Erkenntnis, dass dieser Kampf nicht zu gewinnen war, führte wohl zu Sommers Abgang zu Inter Mailand.
Wer ist eigentlich die Frau an Yann Sommers Seite? Diese Frage tauchte erst richtig auf, als Sommer am Tag seines Wechsels zu Bayern in Begleitung einer bildhübschen Brünette aus dem Flieger stieg. Denn obwohl die beiden seit bald neun Jahren zusammen und seit 2019 verheiratet sind, ist über Alina Sommer ausgesprochen wenig bekannt. Anders als fast alle andern Spielerfrauen, die sich nur zu gern in der Öffentlichkeit zeigen, gibt sie sich überaus zurückhaltend. Als sich das Paar beim ersten offiziellen Termin des deutschen Rekordmeisters erstmals gemeinsam mit den kleinen Töchtern Mila und Nayla zeigte, interessierte sich die deutsche «Bild» mindestens ebenso sehr für Sommers Frau wie für den neuen Bayern-Goalie selbst.

Alina und Yann Sommer mit Töchterchen.
Die aus Köln stemmende Alina und Yann hatten sich zu seiner Zeit in Mönchengladbach kennen und lieben gelernt. Seither, so wusste die «Bild», ist sie sein grosser Rückhalt. Und dem ist fraglos so. In der SRF-Doku «Yann Sommer – out of the Box», schwärmte der Goalie: «Wenn ich aus dem Fussball rauskomme und Privatperson bin, gibt es logischerweise auch Unsicherheiten und Sorgen. Da ist sie meine grosse Unterstützung. » Um ihm den Rücken jederzeit freizuhalten, hat Alina auch ihre beruflichen Ambitionen zurückgestellt. Mit einem abgeschlossenen Jurastudium im Sack kümmert sie sich hauptsächlich um die beiden Mädchen und lässt den Job bis auf Weiteres ruhen. Alina in der SRF-Doku: «Wir hatten uns damals darauf geeinigt, dass ich erst mal für die Kleinen da bin. Das Privileg, mich voll und ganz auf die beiden konzentrieren zu können, schätze ich sehr. Allerdings freue ich mich auch darauf, danach wieder als Anwältin arbeiten zu können.»
Wie sehr sie für ihren Gatten da ist, bewies Alina besonders eindrucksvoll während der EM 2021: Als sie mit Nyala hochschwanger war, spielte Yann ein Gruppenspiel gegen Italien und verpasste die Geburt trotz blitzartigem Abflug nach dem Abpfiff ganz knapp. Einen Tag später musste er wegen des nächsten Spiels schon wieder abreisen. Alina managte die stressigen Tage rund um die Geburt ohne ihren Gatten, damit er sich nach dem Babyglück umgehend wieder auf die EM konzentrieren konnte. Sommers Bewunderung für Alina ist entsprechend gross: «Meine Frau ist meine persönliche Heldin. Was sie alles für mich und unsere Kinder macht, ist unglaublich.» Dass er von seinen Trainern wie auch den Mitspielern als ausgesprochen besonnener, ruhiger und ausgeglichener Typ bezeichnet wird, hat wohl viel mit seinem privaten Glück zu tun.
«Meine Frau ist meine ganz persönliche Heldin.»
In München war es das erste Mal, dass Sommer sich nicht durchsetzen konnte. Im Nationalteam dagegen liess er keinen an sich heran, nachdem er 2014 Diego Benaglio abgelöst hatte. Sommer war ein Jahrzehnt lang gut bis sehr gut, oft überragend. Mit ihm konnte die Schweiz erstmals in der modernen Fussballgeschichte K.-o.-Spiele an grossen Turnieren gewinnen. Dass er im EM-Achtelfinal 2021 den entscheidenden Elfmeter des französischen Weltstars Kylian Mbappé aus der Ecke fischte und die Schweiz damit in die Viertelfinals brachte, war eine Parade für die Fussballgeschichte.

«Vielleicht spiele ich auch noch mit über vierzig.»
Sommer war so gut wie unantastbar. Und in der Öffentlichkeit war er ohnehin der Sympathieträger. Auf Marwin Hitz und und Roman Bürki, zwei überdurchschnittlich gute Goalies, wirkte das im Lauf der Zeit frustrierend. 2018 und 2019 gaben sie still und leise ihren Abschied aus dem Nationalteam. Ein anderer grosser Goalie, Gregor Kobel von Borussia Dortmund, hatte dagegen schon vor einiger Zeit durchblicken lassen, dass er nach der letztjährigen EM in Deutschland nicht noch zwei weitere Jahre die Bank zu drücken gedachte. Und die Schweiz konnte es sich nicht leisten, ihn zu verlieren wie Hitz und Bürki. Immerhin war Kobel dreimal in Serie als bester Torhüter der Bundesliga ausgezeichnet worden. Der neun Jahre ältere Sommer wusste freilich selbst am besten, dass seine Zeit im Nationalteam zu Ende ging. A
m 19. August, einem Montagmorgen, gab er im siebten Stock eines Hotels am Flughafen Zürich seinen Rücktritt bekannt. Nach 94 Spielen, 35 davon ohne Gegentor, drei Europa- und zwei Weltmeisterschaften. Er tat es in der ihm eigenen abgeklärten Art, obwohl gerade eine grosse Ära zu Ende ging. Ein Leck verhinderte leider, dass Sommer seinen Entscheid exklusiv verkünden konnte: Seine Ablösung durch Kobel war eine Woche zuvor einem Newsportal zugesteckt worden. «Das fand ich zugegebenermassen unnötig», sagte er nur dazu. Nach der EM sei er in die Ferien gefahren und habe sich viele Gedanken gemacht. Man habe ihm dann von Verbandsseite nicht mehr zusichern können, auch in Zukunft die Nummer eins zu sein. Das hat ihn nicht etwa in seinem Stolz verletzt, sondern er sah das in seinem Alter als Teil des Geschäfts. Es war ihm aber wichtig, dass die Verantwortlichen ihm das ehrlich mitgeteilt hatten. «Den grundsätzlichen Rücktrittsentscheid», so Sommer, «den hatte ich schon zuvor gefällt». Er hätte sich nun darüber ärgern können, dass es ein Leck gegeben hat. Er hätte nostalgisch werden können oder sich fragen, wieso man ihn nicht mit allen Mitteln halten wollte. Doch er sagte mit der ihm eigenen Coolness nur: «Es fühlt sich gut an.» Während der Länderspielpause Ende November, seiner ersten seit zehn Jahren, verbrachte er die freien Tage mit der Familie in der Schweiz. Ein Post auf Instagram zeigte ihn vergnügt in einem kalten Bergsee: «Ich geniesse diese Zeit jetzt einfach in vollen Zügen.»
«Sommer – einer der besten Transfers von Inter Mailand»
Und was er derzeit erst recht geniesst, ist die sportlich erfolgreiche Zeit mit Inter Mailand. Der ruhmreiche italienische Traditionsverein kämpft erneut ganz vorn mit um den Meistertitel, und in der Champions League wird Sommer für seine herausragenden Leistungen ein ums andere Mal mit Lob überschüttet. Er sei der Erfolgsgarant gewesen, schwärmte Inter-Trainer Simone Inzaghi etwa im November nach dem spektakulären 1:0 gegen Arsenal, als Titelstory Sommer die tollsten Paraden zeigte und von der italienischen Presse das Prädikat Weltklasse erhielt. Sein Goalie ist für den früheren italienischen Nationalspieler Inzaghi «einer der besten Transfers, den Inter in den letzten zehn Jahren getätigt hat». Dem 36-jährigen Yann Sommer kann es nur recht sein, wenn es so weiter geht. Sein Vertrag in Mailand läuft noch bis 2026, «aber es ist möglich, dass ich auch mit über vierzig noch spiele».
VEREINE, TITEL, AUSZEICHNUNGEN
Yann Sommer startet beim FC Herrliberg ZH.
1997: Mit neun Jahren zu Concordia Basel.
2003: Jugend FC Basel.
2005: Erster Profivertrag bei Basel und Stammtorhüter der U21.
2006/07: Aufnahme in der ersten Mannschaft des FC Basel als dritter Tourhüter.
2007: Ausleihe an den FC Vaduz, mit dem er die Challenge League gewinnt, in die Super League aufsteigt und Liechtensteiner Cupsieger wird.
2008: Rückkehr zum FC Basel.
2009/10: Ausleihe an die Zürcher Grasshoppers.
2010/11: Rückkehr zum FC Basel als zweiter Torhüter hinter Franco Costanzo.
2011/12: Stammtorhüter beim FC Basel, mit dem er viermal Schweizer Meister wird (2011 bis 2014) und den Schweizer Cup gewinnt (2012).
2012: Debüt in der A-Nationalmannschaft (0:1 gegen Rumänien).
2014–2023: Wechsel zu Borussia Mönchengladbach, wo er während über acht Jahren zu den besten Bundesliga- Torhütern zählt.
2023: Von Januar bis August bei Bayern München, Gewinn der deutschen Meisterschaft.
2023: Wechsel zu Inter Mailand, italienischer Supercupsieger.
2024: Italienischer Meister mit Inter.
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2016, 2018, 2021: Schweizer Nationalspieler des Jahres.
2024: Am Ballon d’Or in Paris wird Sommer zum sechstbesten Torhüter der Welt gewählt.